Warum Essen mehr bedeutet als nur Nahrungsaufnahme

Corby schmunzelte, ohne von seiner Station aufzuschauen. »Und ich bekomme dann heute Abend einen echten Masala-Chai von Madan, wenn wir Faktor 2 erreichen.«
Ström hob beide Augenbrauen. »Sie haben sich auf eine Wette mit unserer Chefingenieurin eingelassen? Mutig.«
Corby zuckte mit den Schultern. »Ich bin eben ein Optimist.«

»Dann bringen Sie unsere Hawking mal zur Party, Mr. Navarro. Beschleunigung auf Faktor 2 in 0,1-Schritten.«
»Aye, Sir. Geben Sie der Küche schon mal Bescheid, dass ich diesmal die Füllung für die Tacos mache. Wer auch immer das beim letzten Mal als mexikanisch bezeichnet hat, war noch nie in Mexiko.«
»Mr. Adams, Sie haben es gehört. Schreiben Sie Navarros Ansage schon mal an erster Stelle bei den Prioritäten.«
»Ist notiert, Captain.«

Schon im ersten Kapitel geht es zweimal um Essen. Ist meine Hawking etwa doch kein Forschungsschiff, sondern ein Restaurantschiff? Und wenn sich Steuermann Navarro schon über die Tacos beschwert, hat Captain Ström Nelix als Koch angeheuert? Nein, natürlich nicht. Und sorry an alle Fans von Neelix 😉 Ich mag ihn auch, aber wir wissen alle um seine eher exotischen Gerichte.
Aber warum ist das Essen denn jetzt so wichtig?


Sicher, in erster Linie geht es dabei um die Aufnahme von Nährstoffen, aber kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr bei euren Großeltern zu Gast seid und Oma (oder natürlich auch Opa) euch das Gericht kocht, das ihr immer als Kind bekommen habt? Wie schmeckt das?
Erinnerungen, nach Hause kommen? Einfach zurückversetzt in eure Kindheit und ihr fühlt euch geborgen?
Und jetzt stellt euch einmal vor, ihr seid Lichtjahre von der Erde entfernt und wisst auch, dass ihr in den nächsten Wochen oder Monaten nicht zurückkommt. Würdet ihr euch da nicht auch nach etwas Heimat sehnen, seien es nur ein paar Tacos? Und würdet ihr nicht auch enttäuscht sein, wenn es absolut nicht einmal in die Richtung von dem käme, was ihr von Zuhause kennt?
Auch bei Madan ist ihr Masala-Chai ein Stück Heimat, das sie sich von der Erde mitgenommen hat, und da sie ihn nicht einfach nachkaufen kann, würde sie sicher nicht mit jedem darum wetten. Bei Mr. Corby hatte das einen bestimmten Grund und dafür zeige ich euch einen kleinen Ausschnitt aus Kapitel 2: „Rückruf“.

»Wettschulden sind Ehrenschulden.« Mit einem breiten Lächeln stellte Madan einen Becher vor Corby auf den Tisch.
Der Wissenschaftler lachte. »Ich danke Ihnen. Sobald wir wieder auf der Erde sind, muss ich mir einen eigenen Vorrat zulegen.«
Madan setzte sich ihm gegenüber. »Kommen Sie mich doch mal in Bombay besuchen.«
Die Hawking lag bewegungslos im All, die Systeme liefen auf Automatik und es arbeitete nur, wer nicht auf die Feier kommen wollte oder deren Posten nicht ohne menschliche Kontrolle sein durfte.
»Besuchen?«, hakte er nach und öffnete den Deckel, um das Getränk etwas abkühlen zu lassen.
»Ja.« Madan lehnte sich etwas vor. »Ich habe Sie beobachtet: Wenn es indische Küche gab, dann haben Sie immer das Essen gewählt. Wenn Sie Geschmack daran gefunden haben, kann ich Ihnen sehr viel mehr davon zeigen.«
Corby pustete den Dampf von der Oberfläche des Masala-Chai. »Ich habe hier viel über andere Kulturen gelernt, mehr als in den ganzen anderen Jahren in der Forschung.«

Essen kann verbinden oder einem auch andere Kulturen näherbringen. Auf einem Schiff, dessen Crew sich aus allen Völkern der Welt zusammensetzt, kommt man zwangsläufig mit anderen Kulturen zusammen, und wenn das erste Bindeglied das Essen ist, warum nicht? Ich habe z. B. auch durch Videos über koreanisches Essen angefangen mich für Südkorea zu interessieren.

Neben dem sozialen Aspekt, den das Essen auf der Hawking hat, zählt auch die Zubereitung zu einem wichtigen Teil des Alltags auf dem Schiff. Es gibt einen aeroponischen Garten, in dem Lebensmittel angebaut werden und der von allen Crewmitgliedern – auch den Führungsoffizieren und dem Captain – gemeinsam betreut und gepflegt wird. Das gleiche gilt für den Küchendienst, bei dem der Koch immer Unterstützung aus der Besatzung hat.
Was auf den Tisch kommt, wird anhand der reifen Zutaten und des Lagerbestands per Abstimmung entschieden. Jeder darf Vorschläge einreichen, anhand derer dann der Plan für eine Woche aufgestellt wird. Bei über achtzig Menschen und vielen Nationen kommt da natürlich eine große Vielfältigkeit auf den Tisch.
Die Arbeit im Garten oder der Küche sorgt für Beschäftigung, denn so interessant das All auch ist, es ist verdammt leer. Allein zwischen unserem Sonnensystem und dem Nächstliegenden Alpha Centauri sind einfach vier Lichtjahre, wo nichts dazwischen ist. Die Besatzung hat nur ihr Schiff, und wie viele haben während des Corona-Lockdowns schon gesagt, dass sie in ihrer Wohnung einen Lagerkoller bekommen haben? Stellt euch das noch mal eine Nummer härter vor, denn aussteigen ist auf einem Raumschiff nicht.

Ihr seht also, Essen und alles, was damit zusammenhängt, ist mehr als nur Nahrungsaufnahme.

Foto von Davide Cantelli auf Unsplash